Vor 212 Jahren machte Samuel Hahnemann den ersten Selbstversuch mit Chinarinde. Mit den Beobachtungen an sich selbst und den Veränderungen seines Befindens während er das Chinarindenpulver zu sich nahm, entwickelte er das Homöopathische Prinzip: „Ähnliches heilt Ähnliches“. Sein „Chinarindenversuch“ war sozusagen die Geburtsstunde der Homöopathie. Die beiden anderen Grundpfeiler, die Potenzierung der Arznei und das Resonanzprinzip der Lebenskraft, stellen die Säulen der Individualisierung in der homöopathischen Anwendung dar. Inzwischen wird diese Erfahrungsheilkunde weltweit praktiziert und verfeinert. Dazu gehört eine umfangreiche Ausbildung und Lehre, das Arzneimittelstudium mit der Einteilung einzelner Arzneien in ihre botanischen Familien und ihre Gruppen im Tierreich, sowie den Reihen und Spalten im Periodensystem. Und natürlich sind auch Praxiserfahrung und die unzähligen Erfahrungsberichte von Kolleg/innen letztendlich ein weiterer Grundpfeiler dieser Behandlungsmethode, die nicht umsonst als Erfahrungsheilkunde bezeichnet wird.

Nun möchte ich gerade in der jetzigen Zeit, die noch deutlich von der Corona-Pandemie geprägt ist, wieder an die Bedeutung dieser „ersten“ Homöopathischen Arznei erinnern, die „Morgenröte der Homöopathie“ sozusagen.

Warum ist es so bedeutsam, sich genau diesen besonderen Moment der Erkenntnis von Hahnemann in Erinnerung zu rufen? Die momentane Problematik in der Behandlung mit dem PostCovid- oder LongCovid-Syndrom wird immer deutlicher. Es ist meist eine anhaltende Schwäche mit unterschiedlichsten Organbezügen beobachtbar, die in ihrer Symptomatik ungemein verschieden erlebt und beschrieben wird und in ihrem Schweregrad variiert. Viel ist noch gar nicht bekannt. Es gibt einzelne Studien, die dieses Phänomen zwar beschreiben und bestätigen, eine erfolgversprechende Behandlungsstrategie ist jedoch noch in weiter Ferne.

Allein in diesem Phänomen, der medizinisch eher ungenauen Diagnose-Definition, verbirgt sich „ein gemeinsamer Nenner“ und das ist der Symptomenkomplex, der sich eben „in Folge“ der Corona-Infektion entwickelt hat. Das heißt, ein vielfältig erlebtes, geschwächtes Befinden mit diversen körperlichen Beschwerden, sowie Dysfunktionen, entwickelte sich nach einer Covid19-Erkrankung.

Homöopathisch gesehen können wir für jeden Menschen diesen „Nach“-Zustand individuell betrachten und genau für dieses individuelle Krankheitsbild entsprechend eine ähnliche Arznei finden und verordnen. Das ist im Moment ein großer Vorteil genau bei diesen beschriebenen Krankheitsbildern. Und dieses Prinzip hat uns Hahnemann mit seinem Selbstversuch und der daraus weiter entwickelten Schlussfolgerung, der homöopathischen Heilkunst, geschenkt!

China officinalis, die Chinarinde, ist eine der großen homöopathischen Arzneien, die in diesem Schwächesyndrom angezeigt sein kann. Um das zu verdeutlichen hier eine gekürzte Fallbeschreibung:

Die junge Frau kommt mit ungemeiner Schwäche und immer wieder auftretenden, subfebrilen Fieberschüben zu mir in die Praxis. Sie ist sehr blass und erzählt, dass sie noch nie in ihrem Leben so schwach gewesen sei. Dies fing nach einer nicht weiter auffälligen Covid19 Positiv-Testung an. Corona-Symptome hatte sie so gut wie gar nicht, außer vielleicht der Schüttelfrost und das vermehrte Schwitzen, welches ihr im Nachhinein doch auffiel.
Jetzt merkt sie, dass sie empfindlich ist, so als wäre das ganze Nervensystem betroffen. Sie ist sehr sensibel und auch gereizt, wenn sie plötzlich angesprochen wird. Manchmal ist sie richtiggehend wütend, worüber sich ihre Familie schon mehrfach verunsichert wundert. Eigentlich will sie nur ihre Ruhe haben. Sie ist nun aber schon zu schwach, um sich um die nötigsten Alltagsdinge zu kümmern und wird deshalb von der Familie versorgt, da sie eigentlich nur noch liegen mag.
Nachts kann sie nicht gut schlafen, Phantasien und Träume, wie es sein könnte, gehen ihr durch den Kopf. Das ist einerseits angenehm, weil sie dann eher Glück empfindet, aber am Morgen ist sie unausgeschlafen und fühlt sich wieder so erbärmlich schwach. Ab und zu hat sie über den Augen vorne seitlich Kopfschmerz, der so berstend ist. Wenn sie dann ganz fest mit den Händen diese Punkte drückt, ist es besser. Ansonsten kann sie nichts genaueres mehr beschreiben.
Auf Nachfrage erfahre ich noch, dass sie viel Blähungen hat, die auch nach dem Stuhlgang nicht besser werden und sie hat sich schon gefragt, warum ihr Bauch so „dick“ sei, obwohl sie doch so abgenommen hätte.

Das Arzneimittelbild von China officinalis hat mehrere sehr erstaunliche und besondere Symptome in der Arzneimittelprüfung aufgezeigt.
Da wären die Umstände hervorzuheben, dass es eine deutliche Verschlechterung nach „Säfteverlust“ gibt. Wozu in unserem Fall das vermehrte Schwitzen während der Corona-Infektion zu zählen wäre.
Das Arzneimittelbild entspricht einem ungemein geschwächten, sensiblen, blassen Menschen der chronisch in diesem Zustand ist, ohne dass er wirklich Fieber hat, aber diese Periodizität des Schüttelfrostes beinhaltet. Ebenso wie es schon damals Hahnemann in der Ähnlichkeit zu dem Wechselfieber von Malaria beschrieben hat!!!

Fieberrindenbaum. A blühender Zweig, natürl. Grösse

Diese Reizbarkeit, als würden die Nerven blank liegen mit der Empfindlichkeit auf Geräusche, Gerüche und Kälte. Die Auftreibung des Bauches ohne eine Besserung, wenn Blähungen abgehen. Die Berührungsempfindlichkeit und auf der anderen Seite die Besserung bei Druck, wie sie es beschrieben hat bei den Kopfschmerzen.

Die Krankheitsursache nach einer Infektion ist in der sich sehr lange hinziehenden Rekonvaleszenz zu sehen. Das bedeutet, nach einer Erkrankung kommen sie nie mehr wieder in ihre volle Energie zurück. Diese Störung nach fieberhaften Infekten haben viele Arzneien, jedoch können wir diese nach dem Beschwerdebild in der Regel gut unterscheiden.

In diesem Fall der jungen Frau war noch eine Besonderheit, die für China officinalis sprach, zu erkennen. Das waren ihre erträumten Luftschloss-Phantasien in der Nacht, die sie gerne hatte… die jedoch zu dem so gequält schwachen Dasein als Gegensatz erlebt wurden.

Die Arznei China officinalis stammt vom Cinchona Baum, dessen Rinde potenziert wurde. Zu der Familie der Rötegewächse (Rubiaceae) gehört auch Coffea cruda, deren Ursubstanz wir als Kaffee gerne trinken, um einen kreativen, inspirierenden Impuls zu bekommen. Dieser Pflanzenfamilie ist gemeinsam das Thema der Stimulation. Es ist ein Hungern nach Anregung, – er ist gierig und erfüllt von vielerlei Verlangen, vielen Ideen und Phantasien. Zu Beginn stimuliert alles, dann kommt es zur Überreizung und schließlich verschlimmert alles. Die allseits bekannte Trägheit von China zeigt die Kehrseite der Anregung; Stumpfheit findet man auch bei Coffea und anderen Rubiaceaen.

Auf diese Weise können wir die Entwicklung der homöopathischen Betrachtungsweise einzelner Arzneien von den Anfängen bis heute vielleicht erahnen. Viel wichtiger ist jedoch, dass die Individualisierung in der Verordnung immer noch dieses Wirkprinzip bestätigt.

In diesem Fall konnte die junge Frau schon bald wieder in ihre eigene Wohnung ziehen und nach ein paar Wochen ihrer Arbeit nachgehen. Sie selbst war sehr verwundert über diese deutliche Stärkung. Die Wirkung gut gewählter Arzneien ist frappierend, ob sie, so wie China officinalis, schon vor 212 Jahren entdeckt wurde und den Anfang der Homöopathie darstellt oder zu einer der „Neueren Arzneien“ zählt.